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Der Eigennutz und die Liebe
Man kann den Standpunkt vertreten, daß der Liebende (auch der „selbstlos“ Liebende)
jeweils etwas zurückverlangt oder erhält und insoweit immer ein Austausch herbeigesehnt wird.
Man kann diesen Standpunkt als zynisch oder realistisch bezeichnen. Aber das, was im Falle der
„selbstlose“ (uneigennützigen) Liebe zurückkommen mag, ist doch seinem Wesen
nach völlig anders als das, was in einer ausgeglichenen Beziehung (d.h. einer Beziehung auf
Gegenseitigkeit) zurückfliesst. So handelt es sich dort eher um eine Bestätigung, daß die
Liebe überhaupt angekommen ist und wirkt. Das heißt, es handelt sich um ein Wissen um den
Anderen. Dieses Wissen wird auch benötigt, wenn die (uneigennützige) Liebe sich fortsetzen
soll, denn sonst geht sie womöglich ins Leere (die Hoffnung zumindest, daß sie wirken mag,
muß genährt werden).
Wo geht diese Liebe hin?
Sie wird, im guten Falle, weitergereicht.
Zum Beispiel: (i) Die Eltern lieben das Kind, mit der Folge, daß es später seine Kinder
– also die Enkelkinder – lieben kann. (ii) Der Ehemann (aus der guten Tradition, die sich
heute überholt anhört) mag seine (meinetwegen von klein auf verletzte) Frau lieben, mit der
Folge, daß sie besser gerüstet ist, die gemeinsamen Kinder zu lieben. (iii) Der Gastgeber
führt seine Gäste zusammen und hat dafür gegebenenfalls nur die Befriedigung (oder den
Trost), daß auf sein Wirken hin neue Freundschaften für die anderen (vielleicht aber nicht
für ihn) entstanden sind.
Es kann auch sein, daß diesem „selbstlos“ Liebenden wiederum Liebe von anderer Stelle
zugeführt wird und ihn stärkt, ohne aber daß er gerade diese Liebe zu erwidern (zu
vergelten) weiß.
Ich behaupte: Die Liebe macht ihrem Wesen nach kein Kalkül. Zugegeben: im praktischen Umgang, und
insbesondere im Umgang der seelisch beschädigten Menschen miteinander, ist es bestimmt gesund und
sinnvoll, wenn doch eine Gegenliebe abverlangt wird, denn sonst kommt es zu einer Ausnützung. Dann
aber ist die Liebe – streng genommen – eine Leistung auf Gegenseitigkeit, und kein
Geschenk mehr.
Ich mag aber hier kein Lob auf die „selbstlose“ Liebe machen: nur darauf hinweisen,
daß die Liebe ihrem Wesen nach die Grenzen des Austausches sprengt. Die Liebe ist – nach mir
– eigentlich weder selbstlos noch selbstbedacht. (Sie läßt sich nicht auf Motive
reduzieren). Sie ist eine Verausgabung, eine Verschwendung, ein Luxus zum Weiterreichen.
Die Kehrseite dieser Auffassung besteht darin, daß man alles von einer nahestehenden Person
abverlangen darf, so Aufmerksamkeit, Unterstützung, Zuwendung, Zeit, Intimität, freundlichen
Umgang, nur eins nicht: die Liebe. Denn die Liebe ist unentgeltlich.
Die Wörter „Ich liebe dich“ darf man nicht verlangen, und auch nicht aussprechen,
wenn dies in der Erwartung geschieht, daß sie zurückommen. (Es sind im übrigen
abgedroschene Floskel, die am meisten von denen gesprochen werden, die das wenigste Anrecht haben, diese
Worte in den Mund zu nehmen.)
Die Liebe ist immer wieder da, wo man sie nicht vermutet (und öfters auch nicht – zeitlich,
rechtzeitig – erkennt) und häufig fehlt sie dort, wo sie gemeinhin zu erwarten wäre.
Der Eigennutz ebenso.
© Paul Charles Gregory 2007
Der Eigennutz und die Liebe
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Die Liebe im Lichte des Selbst
Zuerst werden wir (in manchen Kreisen zumindest) erzogen, an andere zu denken und nicht nur unsere eigenen
Belange zu berücksichtigen. Die Selbstsucht, die Selbstgefälligkeit, die Verliebheit in sich
selber seien alle verwerflich. Und dann soll man sich lieben, mit einer guten Selbstliebe wohlgemerkt.
Also ist diese Liebe gut, wenn sie nicht gerade schlecht ist! Und der Selbst ebenso.
Die eigentliche Liebe ist immer gut, heißt es. Und wenn mal nicht, dann war sie eigentlich doch keine
Liebe. Hilfreicher ist es aber von unglücklichen oder verfehlten, misslungenen oder falschen
Bindungen zu sprechen. Mein Rat: Immer Vorsicht vor den grossen Tieren, vor Liebe, vor Gut und Böse,
vor Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Besser den präzisen Begriff benutzen, wenn es nur geht: das ist
anstrengender und produktiver als die abstrakten Verallgemeinerungen.
Erstens ist das, was Liebe eigentlich bedeutet, keine gelaufene Sache. Das Selbst ist aber noch
unhandlicher. Man behauptet sogar, daß es sich eher von dem definieren läßt, was
Nicht-Selbst ist.
Dem gegenüber – oder dem hinzu – setze ich andere Bilder. Das Selbst pulsiert. Besser
noch: es hat Ebbe und Flut. Die wahrgenommene Welt teilt sich im Laufe der Zeit unterschiedlich auf
zwischen Selbst und Ncht-Selbst, die Horizonte des Selbst sind mal enger daran, mal weiter entfernt.
Die alten Klamotten, in denen ich mich wohl fühle, sind wie eine zweite Haut, die Menschen, die mir
meist am Herzen liegen, sind mir immer in Gedanken, ihre Gesten und Worte stecken in mir wie ein Teil von
mir selbst. Nach dem Unfall und dem Scheiden der Freunde werde ich aber nur noch dieser nackte
Körper, diese Unbeweglichkeit, dieser Schmerz. Das Selbst atmet aus und ein.
Nur im Lichte des Selbst können wir sehen, aber in die Licht spendende Sonne selbst können wir
– dürfen wir – nicht hineinschauen.
© Paul Charles Gregory 2007
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Verschmelzung & Begegnung
An anderer Stelle habe ich von Liebe als Austausch im Gegensatz zu Liebe als Verausgabung zum
Weiterreichen gesprochen. Auch bei den Beziehungen will ich zwei Auffassungen unterscheiden; die
Verschmelzung oder Symbiose einerseits und die Begegnung andererseits. Soweit eine Verschmelzung
überhaupt denkbar ist, läuft sie in der Praxis nicht selten darauf hinaus, daß einer in den
Anderen untergeht. Der biologische Begriff der Symbiose ist als Vorbild wohl eher geeignet, die gelungene
Verschmelzung abzubilden. Aber eine ganze Menge muß zusammenkommen, damit die Symbiose auf Dauer
gelingt. Die kritische Menge läßt sich schlecht herbeisehnen, und wenn sie nicht von allein
zustandekommt, wird die Beziehung zwanghaft; aber mit Zwang geht es eben nicht.
Man soll so viel Nähe anstreben, wie die Begebenheiten (die beiden Veranlagungen) zulassen. Mehr
nicht, und auch nicht weniger. Lieber mit weniger Nähe miteinander gut leben, als eine Nähe
herbeizwingen, die auf Kosten der beiden Seelen (etwa der Aufrichtigkeit) geht. Aber auch nicht Angst vor
der Annäherung haben. Die Annäherung ist nicht das gleiche wie die Nähe. (Die Kraft der
Erotik besteht in der Annäherung eher als in der sexuellen Verschmelzung allein.)
Mit dem Konzept der Begegnung kommt man, so meine ich, weiter. Eine Begegnung so verstanden muß nicht
von kurzer Dauer sein: sie mag jahrelang oder jahrzehntelang dauern, oder, anders gesagt, es kann sich um
eine lange Reihe von Begegnungen handeln (man kommt immer wieder zusammen). Sie kann auch die
Verbindlichkeit einschliessen. Es kommt auf das Bild, auf die Auffassung, an. (Man könnte alternativ
von Freundschaft sprechen, und eine Freundschaft mag sich auch aus anderen Freundschaften und Begegnungen
nähren, aber ich halte lieber an das Bild der Begegnung anstelle der Freundschaft, gerade wenn die
Beziehung auch eine erotische Komponente aufweist.)
Ich komme auf das Metapher Symbiose zurück. Ein anderes Metapher aus der Biologie, das in den letzten
Jahren in die Mode gekommen ist, ist die Ökologie, d.h. das Zusammenspiel der verschiedenen
Lebewesen. Jeder findet seine Nische. Auch in einer Familie kann sich jede eine Rolle ausfindig machen,
die zuerst unbesetzt aber gebraucht wird. Ob sie auch eine leidliche Rolle ist, steht wohl auf einem
anderen Blatt.
© Paul Charles Gregory 2007
Verschmelzung & Begegnung
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